In den letzten Tagen bin nur dazu gekommen, mir das eine oder andere Lesezeichen zu setzen und bin dann von der Edathy-Geschichte etwas überrollt worden. Einen Aspekt will ich hier dann aber doch noch notieren, weil ich mir da eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen kann: Sebastian Edathy stolperte über den Gummiparagraph, den er selbst maßgeblich mit zu verantworten hat. Kommt ja selten genug vor, dass Politiker mal ihre eigene Medizin kosten.

Ansonsten ist die ganze Angelegenheit natürlich skandalös: Da schließt die Staatsanwaltschaft aufgrund der Bestellung bei uns legaler Bilder messerscharf, dass Edathy womöglich auch Interesse an härterem Material haben und in dessen Besitz sein könnte. Eine reine Mutmaßung! Als Indiz dafür muss dann sein konspiratives Vorgehen reichen:

Für die Downloads des verdächtigen Materials habe Edathy verschiedene IP- und Mail-Adressen benutzt, darunter sei auch eine Multiuser-Adresse des Bundestags gewesen.

Verschiedene IP- und Mail-Adressen? Da gehe ich mich am besten gleich mal selbst anzeigen. Auch meine IP-Adresse wechselt täglich, und wann ich über die von mir im Internet verwandten Mail-Adressen den Überblick verloren habe, weiß ich schon gar nicht mehr. Es kommt aber noch schlimmer: Im Gegensatz zu Edathy – der seine Bilder ganz konspirativ mit der eigenen Kreditkarte gezahlt hat – nutze ich auch noch bevorzugt anonyme Zahlungsmethoden. Bisher dachte ich allerdings, dass das sinnvolle und normale Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre im Internet sind. Falsch gedacht. *schuhezubind*

Erfreulich ist noch, dass Hans-Peter „Supergrundrecht“ Friedrich zurückgeteten wurde, weil er als damaliger Innenminister dem Gabriel in den Koalitionsverhandlungen gesteckt hat, dass gegen Edathy ermittelt wird. Der konnte seinen Mund dann offensichtlich auch nicht halten, und wer weiß, wer da noch alles auf der Strecke bleibt. Die „strategischen Porpcornreserven“ (Fefe) sind gefüllt. Ob ich die wohl in U-Haft mitnehmen darf?

Einer fürs Archiv. Jürgen Rüttgers 1996 in der Frankfurter Rundschau:

„Auch gegen einen Anbieter, der in Deutschland über die Datennetze Kinderpornografie verbreitet, kann und muß die Justiz wie in jedem anderen Fall nach geltendem Strafrecht vorgehen.“ Und, so Rüttgers damals: „Mißbrauchsbekämpfung bedeutet jedoch nicht die lückenlose Datenkontrolle im Internet.“

Was passiert, wenn die Koalition in einem scheinbaren Anflug von gesundem Menschenverstand beschließt, auf die Websperren gegen Kinderpornographie zu verzichten?

Erstens findet sich sofort jemand, der das zum Anlass nimmt, auf anderen Gebieten Forderungen zu stellen, und die Einschränkung von Grundrechten zu zementieren. Und zweitens werden die Sperren auf anderer Ebene ohnehin durchgedrückt. Und wenn das so nicht klappt, haben wir ja dafür noch immer die EU.

Das BKA bestätigt Zensur-Kritiker – zumindest indirekt. Von Kritikern wird nämlich schon immer angeführt, dass Kinderpornographie nicht im öffentlichen Web getauscht wird, auf das sich ja das Zugangserschwerungsgesetz bezieht. Nun hat das BKA in einer internationalen Aktion einen Kinderpornoring ausgehoben und schreibt in seiner Presseerklärung:

Dieser Ring hatte sich in mehreren Internetforen etabliert. Seine Mitglieder tauschten in eigens dazu eingerichteten Foren sowohl umfangreiches Bildmaterial als auch ihre Erfahrungen beim sexuellen Missbrauch von Kindern aus. Mehrere Mitglieder stehen zudem unter dem Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Ihnen wird vorgeworfen, von ihren Missbrauchstaten Bild- und Videoaufnahmen gemacht und sie über die Foren im Internet verbreitet zu haben.

Eigens dazu eingerichtete Foren also. Dabei könnte es sich natürlich auch um öffentliche Foren handeln, aber die Staatsanwaltschaft wird da etwas konkreter:

Nach Angaben von Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, wurde das Material über ein geschlossenes Forum verbreitet beziehungsweise getauscht, das nur mit Zugangsdaten erreichbar gewesen sei. In einem anderen Fall habe es sich um ein „halb offenes“ Forum gehandelt, das ohne weiteres nicht über das Internet zugänglich gewesen sei. Weitere Details konnte die Sprecherin nicht nennen.

Stopp-Schilder hätten hier also nichts gebracht, auch wenn zu befürchten ist, dass die Union dies im Rahmen der Koalitionsverhandlungen genau so darstellen wird. Sehr erfreulich ist, dass anscheinend gezielt gegen die Täter vorgegangen wurde, dafür spricht auch die geringe Zahl von 121 Verdächtigen. Und in Österreich wurden dabei drei mutmaßliche Kinderschänder festgenommen.

dirklandau_kipoillegal.500px.pngWo wird denn Kinderpornographie eigentlich toleriert? Das ist die Frage, die sich mir immer stellt, wenn Politiker unangenehm mit der Unterstellung auffallen, im unzivilisierten Rest der Welt könne man nicht gegen Kinderpornographie im Internet vorgehen, weil es dort keine entsprechenden Gesetze gäbe. So zum Beispiel Ursula von der Leyen:

Die bittere Wahrheit ist, dass bisher nur die Hälfte der Länder Kinderpornographie ächtet. Das heißt, die andere Hälfte toleriert sie.

Und genau diese Frage hat sich Dirk Landau auch gestellt und die Quelle analysiert, auf die sich diese Behauptung bezieht. Seine Recherche zur tatsächlichen Lage in diesen Ländern ist unbedingt lesenswert. Ich nehme nicht zu viel vorweg, wenn ich sage, dass die Behauptung von Frau von der Leyen nicht so ganz korrekt ist.

Update: Der Spiegelfechter Jens Berger hat sich näher mit der Quelle der dubiosen Untersuchung beschäftigt und weiß Interessantes zu berichten:

Das ICMEC wurde 1998 als Ableger des amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) ins Leben gerufen, um weltweit gegen Kindesmissbrauch vorzugehen und vermisste Kinder wiederzufinden – Technologiepartner des NCMEC ist Microsoft. Spätestens im Jahre 2004 stieg Microsoft auch in einem erheblichen Umfang beim internationalen Ableger des NCMEC ein und wurde dessen Exklusivpartner – finanziell und operativ. Zusammen mit der ICMEC und einer Startfinanzierung in Höhe von 1,5 Mio. US$ rief man die „International Centre’s Global Campaign Against Child Pornography” ins Leben. Es mag ja ein Zufall sein – aber seit diesem Zeitpunkt „explodiert“ auch weltweit das Ausmaß der Kinderpornographie im Internet, obgleich Brancheninsider von einem signifikanten Rückgang sprechen. Von Altruismus oder Philanthropie ist der Gigant aus Redmond natürlich nicht getrieben. Im Rahmen des Programms gegen Kinderpornographie hat Microsoft alleine in den ersten zwei Jahren seines Engagements 1.800 Strafverfolgungsbeamte in 93 Ländern ausgebildet – natürlich auf Systemen des Microsoft-Konzerns. Einen besonderen Fokus legen das ICMEC und Microsoft dabei auf den gigantischen Wachstumsmarkt Indien, mit einer Milliarde potentieller Kunden.

Weil man sie ja gar nicht oft genug verlinken kann, auch hier der Hinweis auf die gerade mal drei Tage alte Petition gegen den Uschi-Filter. Aktuell sind schon mehr als 38.000 der 50.000 mindestens benötigten Zeichner beisammen – aber je mehr, desto besser! Leider sind die Server des Bundestages auf den Ansturm an Zeichnungswilligen offensichtlich nicht vorbereitet. Um sie zu entlasten und vielen die Teilnahme zu ermöglichen, kann man sich aber auf mehreren Statistikseiten über den aktuellen Stand informieren.

Wieviele Prozentpunkte machen eigentlich 50.000 Wähler bei der Bundestagswahl aus?

Zeichner der Petition gegen Internetsperren

Außerdem interessant…

Dem Kommentar von Joachim Steinhöfel zur geheimen Übereinkunft zwischen dem BKA und fünf großen Internet-Providern zur gemeinsamen Zensur des Internets ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Ich möchte die Gelegenheit aber nutzen, um hier Fakten und Quellen zu dem Thema zu sammeln und auch in Zukunft weiter zu ergänzen.

Auf praegnanz.de gibt es eine schöne Zusammenfassung der Fünf Argumente gegen Webzensur, die ich hier gerne zur Gliederung übernehme.

1. Kinderpornos finden nicht im öffentlichen Web statt

  • In einer wissenschaftlichen Untersuchung zum Thema kommt Korinna Kuhnen zu dem Schluss, dass „Kinderpornographie im Internet grundsätzlich […] von einer versteckten Präsenz gekennzeichnet“ ist.
  • Oliver J. Süme, Vorstandsmitglied im Verband der deutschen Internetwirtschaft, erklärt, „dass sich nur ein Bruchteil dieser kriminellen Aktivitäten auf Websites abspielt und die Inhalte hauptsächlich in Peer-to-Peer-Netzen und Chat-Protokollen getauscht werden.“
  • Rechtsanwalt Udo Vetter berichtet aus seiner Erfahrung mit der Verteidigung von Mandanten, die des Besitzes von Kinderpornographie beschuldigt wurden, dass alle das Material aus Tauschbörsen, Newsgroups, Chaträumen, Gratisbereichen des Usenet, E-Mail-Verteilern oder auf DVD mit der Post erhalten haben.

2. Es gibt keinen Kinderporno-Massenmarkt

  • Michael Osterheider, Professor für forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg, schätzt, dass zwei Drittel der Täter ihre Bilder kostenlos im Web tauschen.
  • Laut Udo Vetter gibt es einen sehr großen Grundbestand solcher Darstellungen, die aus dem privaten Umfeld stammen und meistens seit Jahrzehnten im Umlauf sind.

3. Das Internet ist auch jetzt schon kein rechtsfreier Raum

  • Das zeigte der Verein CareChild in einem Versuch sehr eindrucksvoll: Nach der Benachrichtigung von 20 Providern, dass auf ihren Servern Seiten gehostet sind, die in der offiziellen dänischen Sperrliste geführt werden, nahmen 16 Provider die entsprechenden Seiten innerhalb kurzer Zeit vom Netz.
  • Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) bestätigt in einem ähnlichen Versuch die Kooperationsbereitschaft der Provider. Dabei wurden wurden 60 Webauftritte gelöscht.
  • Jörg-Olaf Schäfers von netzpolizik.org hat sich die rechtliche Situation in Kasachstan erläutern lassen, nachdem die parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Martina Krogmann, behauptet hatte, dass man auf Inhalte in Kasachstan keinen Zugriff habe.

4. Die Sperre ist de facto wirkungslos

  • In seinem Blog erklärt Dennis Knake sehr anschaulich und sicher auch für jeden Technik-Laien verständlich die technischen Grundlagen der geplanten Sperrungen.
  • Nach Ansicht von Andreas Pfitzmann, Professor für Datenschutz und Datensicherheit an der Technischen Universität Dresden, sind Sperren im Internet generell nicht wirkungsvoll – insbesondere im konkreten Fall der DNS-Sperren.

5. Infrastruktur für Sperren begünstigt »echte« Zensur

  • Eine Analyse der schwedischen Filterliste ergibt, dass nur 9 von 1047 Einträgen tatsächlich kinderpornographischen Inhalt haben (In der hier verlinkten Untersuchung sind diese Seiten weder verlinkt noch benannt). Beim Rest handelt es sich größtenteils um legale Pornographie, viele tote Links und auch neun Seiten, die völlig irrelevant sind.

Außerdem interessant…

Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) bestätigt in einem ähnlichen Versuch die Kooperationsbereitschaft der Provider. Dabei wurden wurden 60 Webauftitte gelöscht.

patchfeld.300pxRechtsanwalt Oliver J. Süme, Vorstandsmitglied im Verband der deutschen Internetwirtschaft, zur Sinnhaftigkeit von Access-Sperren im Kampf gegen Kinderpornografie:

Gerade im Bereich der Kinderpornografie ist die politische Versuchung groß, nichts unversucht zu lassen und alles, was auf den ersten Blick möglich erscheint, zu fordern, um Lösungen anzubieten. Eine breite öffentliche Zustimmung ist dabei in der Regel garantiert. Wenig bekannt ist in der Öffentlichkeit jedoch z.B. der Umstand, dass sich nur ein Bruchteil dieser kriminellen Aktivitäten auf Websites abspielt und die Inhalte hauptsächlich in Peer-to-Peer-Netzen und Chat-Protokollen getauscht werden.

Geplant ist die gesetzlich verankerte, ständige Sperrung einer quantitativ nicht begrenzten Liste durch ein technisches System, das die Täterermittlung und die Beseitigung der eigentlichen Inhalte ergänzen soll. Dabei droht die Einzelfallprüfung und die individuell zu berücksichtigende Verhältnismäßigkeit auf der Strecke zu bleiben. Berücksichtigt man zudem, dass auch im Zusammenhang mit jugendgefährdenden Inhalten, illegalen Glücksspielen und Urheberrechtsverletzungen bereits heute konkrete Sperrungsaufforderungen durch die jeweiligen Interessenvertreter an Zugangsprovider herangetragen werden, droht aus der Ausnahme die Regel zu werden.