In den kürzlich geleakten Guantanamo-Akten wird nicht nur dokumentiert, dass viele Unschuldige nach Guantanamo verschleppt wurden, sondern auch der Fall eines algerischen al-Qaida-Kämpfers, der mit dem britischen und dem kanadischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben soll: Adil Hadi al Jazairi Bin Hamlili werden Bombenanschläge auf zwei christliche Kirchen und ein Luxushotel in Pakistan 2002 zur Last gelegt.

Das berichtet der Guardian, der auch eine übersichtliche Animation zu den Akten erstellt hat. Mindestens 123 Insassen verdanken ihren Kuba-Aufenthalt übrigens einem einzigen fleißigen Informanten.

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Roger Willemsen im Interview auf die Frage, warum sich auch die liberale Öffentlichkeit gegen die Unschuldsvermutung in Hinblick auf die Guantanamo-Häftlinge sperrt:

Weil das antimuslimische Ressentiment flächendeckend geworden ist. Ein Gewürzhändler war am falschen Tag am falschen Ort, wird von den Taliban angeschossen und dann von Kopfgeldjägern nach Guantánamo verschleppt – aber niemand gesteht ihm Unschuld zu. Da muss man von Propaganda sprechen. Es tut mir Leid, ich würde gerne mit etwas weniger Emotion über diese Sache reden, aber solches Ressentiment auch hierzulande arbeitet daran mit, dass so etwas wie Guantánamo möglich ist. Die Tatsache, dass das Lager bis heute besteht, zeigt, dass Politik und Öffentlichkeit nicht genug getan haben.

Und zur Rolle der (deutschen) Medien:

Blockade ist zu viel gesagt. Aber im Vergleich zu dem, was der Guardian, BBC, Chanel 4 über Guantánamo berichtet haben, blieb das, was ARD, ZDF, der Spiegel und der Stern gemacht haben, deutlich unter den publizistischen Möglichkeiten. Schlüsselfragen, wie etwa die deutsche Beteiligung an Verhören müssten deutsche Journalisten doch brennend interessieren. Radikalität ist die einzige humane und diskutable Haltung gegenüber diesen Lagern. Diese Radikalität sehe ich fast nirgends.

Zum Stichwort „antimuslimisches Ressentiment“ passt dann auch das Thema der letzten Episode der Lindenstraße (Auftauen):

Gabi ist sprachlos. Sie hat erfahren, dass Timo zum Islam konvertiert ist. Andy sieht in der religiösen Orientierung seines Sohnes kein Problem. Das ändert sich schlagartig, als Gabi in Timos Sachen eine Anleitung zum Bau einer Bombe findet …

In eine seiner ersten Amtshandlungen hat Barack Obama die Schließung von Guantánamo angeordnet. Ein mehr als überfälliger Schritt, denn bei den Militärtribunalen handelt es zweifelsohne nicht um rechtsstaatliche Verfahren.

spiegel-guantanamo-streit.300pxSo hat nicht nur der Ex-Chefankläger im US-Lager Guantánamo der US-Regierung vorgeworfen, die Prozesse manipuliert zu haben, auch wurde die Unrechtmäßigkeit der Tribunale vom Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA, festgestellt.

Die Menschen, die in Guantánamo einsitzen, können also im Grunde nicht einmal guten Gewissens als Verdächtige bezeichnet werden. So hat auch eine an der Rechtsfakultät der Seton Hall University erarbeitete Studie ermittelt, dass die meisten Häftlinge in Guantánamo schlicht unschuldig sind, wie etwa auch die ehemalige Bill-Clinton-Beraterin Naomi Wolf in ihrem Buch “Wie zerstört man eine Demokratie” schreibt.

SPIEGEL Online sagt, es gäbe “harte Beweise für terroristische Aktivitäten – doch wie können “harte Beweise” vorliegen, wenn die Tribunale nicht rechtsstaatlich waren?
SPIEGEL Online
hingegen kommt in seinem Artikel “Steinmeier und Schäuble wollen Guantanamo-Streit beenden” zu einer Rechtsauffassung, die irgendwie an die der Bush-Regierung erinnert. So heißt es in dem Beitrag, in dem es um die Auseinandersetzung geht zwischen den beiden Ministern über die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen, die nicht in ihre Heimatländer zurück können:

“Neben rund 40 Personen, gegen die wie im Fall des 9/11-Drahtziehers Chalid Scheich Mohammed harte Beweise für terroristische Aktivitäten vorliegen und die vermutlich vor Militärgerichte in den USA und vor normale US-Richter gestellt werden, gibt es mehr als 100 Insassen, deren Unschuld mehr oder minder bewiesen ist.”

Insgesamt also, behauptet SPIEGEL Online, lägen gegen rund 40 Guantánamo-Insassen “harte Beweise” für terroristische Aktivitäten vor. Doch wie sollen die vorliegen können, wenn, wie gesagt, die Militärtribunale nicht rechtsstaatlich waren? Sollte darüber, wie “hart” die Beweise wirklich sind, nicht besser erst einmal ein ordentliches Gericht entscheiden? Bestenfalls könnte man berichten, dass die Militärankläger meinten, genug harte Beweise zu haben, um die aus ihrer Sicht Verdächtigen anklagen zu können. Und ob eine solche Anklage überhaupt Aussicht auf Erfolg hat bzw. aufgrund der vorliegenden “Beweise” überhaupt zugelassen wird, das muss sich erst noch zeigen.

Schlussfolgerung von SPIEGEL Online weder juristisch noch journalistisch sauber
Dies gilt streng genommen auch für Chalid Scheich Mohammed, vo dem SPIEGEL Online ja meint, er sei der “Drahtzieher” der Anschläge vom 11. September 2001. Zwar hat er vor dem Militärtribunal in Guantánamo so ziemlich alles gestanden, was die Bush-Regierung Al-Quaida seit langem vorwirft. Doch wohl kein rechtsstaatliches Gericht der Welt würde ein solches Geständnis anerkennen.

So geht nicht nur Hans-Christian Ströbele von den Grünen davon aus, dass die Aussagen von Scheich Mohammed unter Folter zustande gekommen sind. “Er hätte wohl auch gestanden, der Satan persönlich zu sein”, sagte Ströbele der Süddeutschen Zeitung. Chalid Scheich Mohammed als “9/11-Drahtzieher” zu bezeichnen, wie es SPIEGEL Online tut, ist also weder juristisch noch journalistisch sauber und kommt daher einer Vorverurteilung gleich – auch wenn man der festen Auffassung ist, dass er ein Terrorist ist. Allenfalls hätte SPIEGEL Online ihn “mutmaßlichen 9/11-Drahtzieher” nennen können.

Nicht so sicher ist sich SPIEGEL Online demgegenüber bei der Beschreibung der Häftlinge, die nicht vor Gericht gestellt werden sollen, sei ihre Unschuld doch nur “mehr oder minder bewiesen”. Doch will uns SPIEGEL Online damit ernsthaft mitteilen, dass nicht rechtsstaatliche Tribunale überhaupt etwas beweisen können? Im Grunde ist die Sache doch ganz einfach: Nach rechtsstaatlichen Prinzipien gilt “in dubio pro reo”, sprich ein Angeklagter gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist.

Geschichte von Guantánamo-Insassen weckt Erinnerungen an Behandlung von Gulag-Gefangenen
Das sollte ganz besonders auch für Guantánamo-Insassen gelten, liegen gegen sie nicht nur offenkundig keine Beweise vor, die eine Anklage rechtfertigen würden. Auch ist zu bedenken, dass etliche von ihnen nur deshalb in Guantánamo gelandet sind, weil sie in die Fänge der afghanischen Kriegsherren (Warlords), die sich im Kampf gegen die Taliban in einer “Nordallianz” zusammengetan hatten, geraten waren. Und der Anreiz, Gefangene zu machen, war für die Warlords groß, hatten die USA doch für jeden Gefangenen eine Belohnung von 5000 $ ausgesetzt – was “in dieser Region der Welt eine beträchtliche Summe ist”, wie Naomi Wolf schreibt. Dabei “denunzierten die Warlords häufig schlicht Nachbarn, mit denen sie verfeindet waren, oder sie nannten die Namen einfacher Dorfbewohner, um die Belohnung zu kassieren” (”Wie zerstört man eine Demokratie, S. 94).

Naomi Wolf zieht in ihrem Buch, was die Behandlung der Gefangnen angeht, eine Parallele zu den Gefangenen in Stalins Gulags. Auch werden bei solchen Zustände Erinnerungen an Zeiten in Europa wach, in denen Menschen durch willkürliche Denunziationen zu Hexen abgestempelt wurden.

Arthur Miller: “Die Hexenverfolgung war eine perverse Manifestation der Angst, die sich aller Klassen bemächtigte, als sich die Waage nach der Seite größerer individueller Freiheit zu senken begann. Sieht man über die offenbare Schändlichkeit des Einzelnen hinaus, so kann man sie alle nur bedauern, so wie man uns eines Tages bedauern wird.”

Erstveröffentlichung: SPIEGELblog, 24. Januar 2009

Barack Obama ist nun Präsident. Und eine seiner ersten Amtshandlungen war es, die Schließung des US-Lagers Guantánamo zu verfügen und damit eines seiner wichtigsten Wahlversprechen anzugehen. Das ist natürlich uneingeschränkt begrüßenswert, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei eher um eine Selbstverständlichkeit als um eine wirkliche Leistung handelt. Ein Schritt zurück in Richtung Zivilisation und Rechtsstaat.

Die St. Petersburg Times hat sich die Mühe gemacht, dieses und über 500 weitere Wahlversprechen Obamas zusammenzufassen: So macht es das Obameter leicht, die Arbeit des neuen Präsidenten an seinen Versprechen messen.