Erdogan räumt weiter auf. Nach Militär und Justiz sind jetzt Bildung und Medien an der Reihe: 21.000 Lehrern Lehrerlaubnis entzogen, 1.577 Hochschuldekane gefeuert, 15.200 Mitarbeiter des Bildungsministeriums suspendiert, 20 Nachrichtenportale geblockt und 24 Sendelizenzen für Radio und TV entzogen. Mir wird da irgendwie schwindlig.

Außerdem wurde Wikileaks gesperrt nach der Veröffentlichung von 300.000 AKP-Mails.

Der Putschversuch in der Türkei war schon nach wenigen Stunden wieder Geschichte, und es bleiben einige Fragen:

Welcher Putsch beginnt denn freitagabends um 22 Uhr, wenn die Panzer im Feierabendstau stecken bleiben? Warum sind fast alle TV-Kanäle auf Sendung und interviewen ein Regierungsmitglied nach dem anderen? Und vor allem, warum haben die Putschisten offenbar erst gar nicht versucht, einen verantwortlichen Politiker, deren Herrschaft sie ja angeblich beenden wollten, festzunehmen oder sonst aus dem Verkehr zu ziehen?

Ob Fake oder nicht – für Erdogan war die Nummer auf jeden Fall ein „Geschenk Gottes“, wie er selbst erklärte, und die angekündigten Säuberungsaktionen sind in vollem Gange. Gestern musste bereits fast jeder fünfte Richter seinen Hut nehmen. Und die Liste lag da bestimmt schon irgendwo rum. 

Update: Schon rund 6.000 Festnahmen. Außerdem will der Irre von Bosporus das Land von „Viren“ säubern und die Todesstrafe wieder einführen. 

In der Türkei unternehmen zumindest Teile des Militärs gerade einen Putschversuch. In Istanbul sind die Brücken über den Bosporus gesperrt, in Ankara fallen Schüsse. Der Generalstabschef soll eine Geisel der Putschisten sein (Ticker der Berner Zeitung).

«Die Macht im Land ist in ihrer Gesamtheit übernommen», hiess es in einem im Fernsehsender NTV am Freitagabend verlesenen Erklärung des Militärs.

Hat das irgend jemand kommen sehen?

Update: Das Militär hat im Fernsehen das Kriegsrecht und eine Ausgangssperre verhängt. Sehen die NATO-Verträge in solchen Fällen eigentlich irgendwas vor?

honduras_kueste.300pxWie nennt man es, wenn das Oberste Gericht eines Landes das Militär authorisiert, einen Bürger außer Landes zu schaffen, der als Präsident wiederholt Anordnungen des Gerichtes ignoriert, gegen die Verfassung des Landes verstoßen und damit sein Amt verloren hat?

So zumindest stellt sich für mich zur Zeit die unübersichtliche Lage in Honduras dar. Ist das wirklich ein Putsch? Wenn man der Politik und den Medien glauben mag, ja. Ein Blick in ein Rechtslexikon liefert eine andere Definition:

Als Staatsstreich oder Putsch wird die gewaltsame Änderung der Regierungsform eines Staates von „oben“, im Gegensatz zur von „unten aus dem Volk“ kommenden Revolution bezeichnet.

Die Entscheidung des Obersten Gerichts in Honduras zielt aber gerade auf den Erhalt der Regierungsform in einer zentralen verfassungsrechtlichen Regelung ab, wie der honduranische Rechtsanwalt und ehemalige Minister Octavio Sánchez erläutert:

These are the facts: On June 26, President Zelaya issued a decree ordering all government employees to take part in the „Public Opinion Poll to convene a National Constitutional Assembly.“ In doing so, Zelaya triggered a constitutional provision that automatically removed him from office.

Constitutional assemblies are convened to write new constitutions. When Zelaya published that decree to initiate an „opinion poll“ about the possibility of convening a national assembly, he contravened the unchangeable articles of the Constitution that deal with the prohibition of reelecting a president and of extending his term. His actions showed intent.

Our Constitution takes such intent seriously. According to Article 239: „No citizen who has already served as head of the Executive Branch can be President or Vice-President. Whoever violates this law or proposes its reform [emphasis added], as well as those that support such violation directly or indirectly, will immediately cease in their functions and will be unable to hold any public office for a period of 10 years.“

Notice that the article speaks about intent and that it also says „immediately“ – as in „instant,“ as in „no trial required,“ as in „no impeachment needed.“

Das mag man als Ausweisung oder vielleicht auch Verschleppung oder Entführung bezeichnen – mit einem Putsch hat das aber nichts zu tun!

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